Sozialwahl 2023: Wahlen ohne Wähler
88 Mio. Euro hat die Sozialwahl 2023 gekostet, die Wahlbeteiligung ist auf ein Rekordtief gesunken.
Was ist passiert?
Bund. Die Sozialwahl findet lediglich alle sechs Jahre statt, ist aber mit Blick auf die Zahl der Wahlberechtigen die drittgrößte Wahl in Deutschland (nach Europawahl und Bundestagwahl). 2023 war es wieder so weit, mehr als 51 Mio. wahlberechtigte Versicherte waren aufgerufen, die Vertreterversammlungen, Verwaltungsräte und Vorstände der 144 Sozialversicherungsträger im Bereich der gesetzlichen Kranken-, Renten- oder Unfallversicherung neu zu bestimmen. Im Rahmen der Selbstverwaltung beschließen diese dann die milliardenschweren Haushalte der einzelnen Kassen und haben Einfluss auf Reha-Plätze, Zusatzbeiträge oder Wahltarife.
In unserem Schwarzbuch 2017/18 war die Sozialwahl bereits Thema, denn sie kostete damals 50 Mio. Euro – ohne dass die Wähler überhaupt wesentlichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Kassenparlamente hatten. Der BdSt titulierte die Wahl als „Scheinwahl“, denn der Name „Sozialwahl“ suggeriert mehr, als er bedeutet. Denn Urwahlen, also Wahlen mit echter Wahlmöglichkeit für die Versicherten, finden kaum statt. Urwahlen ergeben sich, wenn mindestens zwei Listen zur Wahl stehen und insgesamt mehr Kandidaten antreten, als es Mandate zu vergeben gibt – dann gibt es wie bei Parlamentswahlen einen Wettbewerb um die besten Kandidaten. Stattdessen dominieren jedoch Wahlen ohne Wahlhandlung, beschönigend „Friedenswahlen“ genannt. Hierbei sprechen die Interessenvertreter, wie Gewerkschaften und andere Arbeitnehmervereinigungen, im Vorfeld der Sozialwahl Listen ab, die genauso viele Kandidaten enthalten, wie es Sitze in den Parlamenten gibt. Die Listen-Kandidaten gelten damit automatisch als gewählt – eine Wahlhandlung wird dadurch unnötig.
Insgesamt wurden 3.860 Mandate mit der vergangenen Sozialwahl vergeben. Bitter: Noch nie in der Geschichte der Sozialwahl seit 1953 haben so wenige Versicherungsträger eine Urwahl angeboten. Lediglich 7 der 144 Versicherungen haben ihren Mitgliedern aktive Wahlmöglichkeiten angeboten. Das sind weniger als fünf Prozent! So haben von den 94 gesetzlichen Krankenkassen nur 5 Ersatzkassen zur Wahl gebeten. Erstmals hat keine einzige der 71 Betriebskrankenkassen eine echte Wahl abgehalten, ebenso wenig die AOKs und die Innungskrankenkassen. Das Ergebnis: Von 3.860 zu vergebenden Mandaten wurden lediglich 134 unmittelbar durch Urwahl der Versicherten bestimmt – drei Prozent aller Mandate! So wundert es auch nicht, dass die Wahlbeteiligung so mau war wie seit mehr als 50 Jahren nicht. Lediglich 11,5 Mio. Versicherte und damit nur knapp jeder Fünfte. entschied sich dafür, sein Kreuz bei der Sozialwahl zu machen. Die Wahlbeteiligung lag lediglich bei rund 22 Prozent.
Dieser Scheinwahl stehen absurde Kosten gegenüber. Die Sozialwahl 2023 verursachte Rekordausgaben von 88,5 Mio. Euro – umgerechnet auf jeden Versicherten, der seine Stimme abgegeben hat, bizarre 7,69 Euro! Das entspricht zugleich einer Verdopplung der Kosten pro abgegebener Stimme gegenüber 2017 mit damals 3,84 Euro. Hier lohnt ein Vergleich zur wesentlich bedeutsameren Bundestagwahl, die den Bund zuletzt rund 100 Mio. Euro gekostet hat. Diese Sozialwahl ist hiervon nicht weit weg.
Bei der Sozialwahl stellen sich triftige Fragen. Vor allem die Frage nach Sinn oder Unsinn dieser Wahl. Immerhin liegen die hohen Wahlkosten – gespiegelt an der Macht der Wähler – im Bereich der Verschwendung. Denn, so unsere plakative Rechnung: Jedes einzelne der 134 unmittelbar durch die Versicherten gewählten Mandate hat in der Gesamtschau mehr als 660.000 Euro gekostet. Soweit die reine Kosten-Nutzen-Rechnung. Unter dem Strich ist natürlich klar, dass es Demokratie nicht zum Nulltarif gibt. Demokratie kostet. Schließlich ist die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen ein hohes Gut und muss bewahrt werden. Das erstmalige Angebot von Online-Wahlen durch fünf Ersatzkassen bei der vergangenen Wahl wurde immerhin von mehr als 330.000 Versicherten genutzt. Hier kann sich die Sozialwahl als Vorreiter präsentieren! Doch vor allem muss die Urwahl zum selbstverständlichen Standard werden, und das ohne Klüngel der Interessenvertreter.
Foto: Sebastian Panknin
Der Bund der Steuerzahler fordert
Der BdSt bringt es auf den Punkt: Die Politik muss die Sozialwahl dringend reformieren. Die Selbstverwaltung ist ein hohes Gut, sie muss aber im Rahmen einer echten Urwahl transparent und für die Wähler nachvollziehbar bestimmt und seitens der Politik besser legitimiert werden. 88 Mio. Euro für lediglich 134 Sitze, also knapp 660.000 Euro für ein einziges frei wählbares Mandat auszugeben, ist völlig unverhältnismäßig!
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